Die Legende des Galgen- bzw. Hühnerwunders |
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Mit der Beschreibung und Einordnung des sogenannten Galgen- oder Hühnerwunders wollen wir Ihnen die Wandmalereien im Lnaghaus der St.-Jodok-Kirche weiter vorstellen.fortsetzen. Dieser aus zwölf Szenen bestehende
Bilderzyklus (die Bilder eins, Gebet
vor der Abreise und
zwei, Die Ankunft in der Herberge,
sind durch die Chorempore abgedeckt) beschreibt eine
Legende, die von
der Fürsprache des heiligen Jakobus bei Gott handelt. Bekanntermaßen
zum ersten Mal schriftlich festgehalten wurde die Legende im Liber Sancti Jacobi oder Jakobsbuch.
Dieses auch unter der Bezeichnung Codex Calixtinus bekannte Werk
entstand aus
der Feder verschiedener Autoren im frühen 12. Jahrhundert in Spanien
und
befindet sich heute im Archiv der Kathedrale von Santiago de Compostela. Von dem
gehängten Pilger, den der selige
Apostel nach 36 Tagen am Galgen vom Tode erlöste. Ein Exemplum vom hl.
Jacobus,
aufgezeichnet durch Papst Calixtus, |
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»Es
ist zu berichten, dass im Jahre 1090 nach Christi Geburt einige
Deutsche im
Pilgergewand zum Grabe des seligen Jacobus unterwegs waren. Sie kamen
mit
großen Reichtümern bis zur Stadt Toulouse und fanden dort bei einem
reichen
Manne Unterkunft. Dieser aber heuchelte hinterlistig, wie ein Wolf im
Schafspelz, große Harmlosigkeit, nahm sie geziemend auf, machte sie
dann
jedoch, scheinbar als Zeichen der Gastfreundschaft, mit verschiedenen
Getränken
in betrügerischer Absicht betrunken. Welch blinde Habgier, welch
nichtswürdige
Neigung des Menschen zum Bösen! Schließlich waren die Pilger vom Schlaf
und
Rausch völlig übermannt. Der falsche Gastgeber aber, von Habgier
angestachelt,
steckte heimlich einen silbernen Becher in das Gepäck der Schlafenden.
Er
wollte sie damit als des Diebstahls schuldig überführen und dann ihr
Geld
einheimsen. Nach dem ersten Hahnenschrei verfolgte der ungetreue
Gastgeber mit
einer Handvoll bewaffneter Männer die Pilger mit dem Ruf: »Gebt mir
meine
gestohlene Habe wieder! « Darauf erhielt er von ihnen als Antwort:
»Wenn du das
Gestohlene bei einem findest, soll er nach deinem Gutdünken verurteilt
werden.« Es fand also eine Durchsuchung statt und bei zweien, Vater und Sohn, fand er in ihrem Gepäck den Becher. Widerrechtlich beschlagnahmte er ihre Habe und schleppte sie vor das öffentliche Gericht. Der Richter aber war von Mitleid gerührt und verurteilte einen zur Todesstrafe, der andere sollte frei sein. O ergreifende Vater- und Kinderliebe! Der Vater wollte, dass sein Sohn freigesprochen werde und dass man ihm das Todesurteil zuspreche. Der Sohn dagegen sagte: »Es ist unbillig, dass der Vater an Stelle des Sohnes dem Tode ausgeliefert wird. Vielmehr muss der Sohn für den Vater die verhängte Strafe erleiden.« Ein bewundernswertes Beispiel gegenseitiger Hingabe! Schließlich wurde der Sohn nach seinem Wunsch um den geliebten Vater zu befreien, erhängt. Der Vater aber setzte weinend und trauernd seinen Weg zum hl. Jacobus fort. Nachdem er den ehrwürdigen Altar des Apostels besucht hatte, kehrte der Vater nach 36 Tagen zurück und machte einen Umweg zu dem noch immer am Galgen hängenden Leichnam seines Sohnes. Er rief unter Tränen und Seufzen und mitleiderregendem Stöhnen: »Weh mir, mein Sohn, wozu habe ich dich gezeugt, warum dich aufgezogen, den ich jetzt doch hängen sehe?“ Aber wie großartig sind deine Werke, o Herr! Der Gehängte tröstete seinen Vater und sprach:« Traure nicht, herzgeliebter Vater, über meine Qual, die keine ist, sondern freue dich lieber, denn er geht mir jetzt besser als bisher in meinem vergangenen Leben. Der selige Jacobus hat mich mit seinen Händen gestützt und wärmt mich voller Milde.“ |
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Auf diese
Worte hin eilte der Vater in die
Stadt und
rief das Volk auf, dieses Gotteswunder zu schauen. Sie kamen herbei,
sahen,
dass der Gehängte nach so langer Zeit noch lebte und erkannten jetzt,
dass er
wegen der unersättlichen Gier des Wirtes angeklagt worden war, durch
Gottes
Erbarmen aber gerettet. Dieses ist vom Herrn geschehen und ist ein
Wunder in
unseren Augen. Sie nahmen ihn also unter großem Jubel vom Galgen ab.
Den Wirt
aber verurteilten sie verdientermaßen zum Tode und hängten ihn auf der
Stelle
auf. Demzufolge sollen alle, die als Christen gelten wollen, mit großer Sorgfalt darauf bedacht sein, niemals ihren Gästen oder überhaupt ihren Nächsten gegenüber einen solchen Betrug zu begehen. Sie sollen vielmehr den Pilgern Mitgefühl und freundliche Zuneigung erweisen, auf dass sie den Lohn der ewigen Glorie von dem empfangen, der als Gott lebt und regiert in alle Ewigkeit. Amen.« Die
Legende wurde in späteren Jahrhunderten in die Legenda
Aurea, dem Mittelalterlichen Standartwerk für Heilige und
deren Lebensgeschichte aufgenommen und je nach Geschmack und Ausgabe um
Ereignisse und Personen erweitert. Von
einer dieser volkstümlichen Erweiterrungen handelt der Bilderzyklus in
der Überlinger
St.-Jodok-Kirche. So wurde dem ursprünglichen Galgenwunder
ein weiteres, das sogenannte Hühnerwunder
angefügt. Auch das anschließende Einfangen der Hühner und deren Domizilierung in der Kathedrale, in diesem Fall in der von Santo Domingo de la Calzada, erweiterte die Legende erneut und verlegte sogar deren Handlungsort. Die
Verlegung der erweiterten Legende von Toulouse nach Santo Domingo de la
Calzada
deutet darauf hin, dass das Pilgern ein erheblicher Wirtschaftsfaktor
für die
Städte des Jacobsweges war. Man wollte die Gunst der Pilger für sich
gewinnen
und schuf Anreiz, auf sich aufmerksam zu machen. (Viel hat sich da in
den
letzten 1000 Jahren nicht geändert!) |
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Ein Versuch kunstgeschichtlicher Einordnung |
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Hans Rott
versucht
in seinem Buch über die Kunstgeschichte des Südwestens im 15. und 16.
Jahrhundert von 1937, den Namen Carrer
mit der Entstehung des Wandzyklus in Verbindung zu bringen. Weiter soll
nach
seiner nicht näher ausgeführten These der aus Radolfzell stammende, und
in
Überlingen seit 1441 das Bürgerrecht inne habende Schnitzer und Maler Konrad Bitzer sowie dessen Sohn und
Werkstattnachfolger Anton mit dem
nicht weiter bezeichneten Carrer in
enger geschäftlicher Beziehung gestanden haben. Die Zusammenarbeit
bezieht sich
besonders auf die 80er Jahre des 15. Jahrhunderts. Die Malweise des
Zyklus erinnert stark an die im 15. Jahrhundert entstandene
Holzschnittkunst. Bei
dieser Technik wird besonders das Wechselspiel zwischen der die Form
umschließenden Konturlinie und der daraus entstandenen Fläche betont,
die je
nach Auffassung farbig ausgefüllt werden konnte. Bezeichnend für den
Holzschnittstil ist seine hervorgehobene Realistik, die zuvor wenig
Verwendung
fand. Zu
erkennen sind auch Reste mittelalterlicher
Symbolsprache. So wehen die Gewandzipfel des am Galgen aufgehängten
Jüngling
nach allen Himmelsrichtungen. Dies soll bedeuten: »Hier spricht Gott«,
zu
ergänzen wäre: »ein anderes Urteil«. Auch findet man auf derselben
Bildtafel
links über dem Gehängten einen Vogel, der symbolisch den Himmel und die
in ihm
wohnende Wahrheit bezeugt. Da der Bilderzyklus des Hühnerwunders zudem lediglich als Wandbild aufgetragen ist, verspricht diese Spekulation einen hoffentlich weiterführenden Ansatz. |
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